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- 162 °C / 111,15 K

Stellen Sie sich vor, man könnte Autos schrumpfen – Erdgas beim Seetransport

Stellen Sie sich vor, man könnte Autos schrumpfen. Ein Fahrzeug von der Größe eines VW Golf würde in einen Kühlschrank gestellt und nach kurzer Zeit wäre das gute Stück nur noch etwa 51 cm lang, 17 cm hoch und 21 cm breit. An den Straßenecken stünden dann Kühlschränke mit Regalböden für die Autos. Obwohl die Städte mehr Lebensraum böten, gäbe es kein Parkplatzproblem mehr. Und wenn man mit dem Auto in den Urlaub nach Italien fahren wollte, nähme man den Zug. Die geschrumpften Fahrzeuge mehrerer Urlauberzüge würden in einen gewöhnlichen 20ft-Container Platz finden, die für den allgemeinen Frachttransport genutzt werden. Über 1500 geschrumpfte Golfs würden in einen solchen Container passen. Vor Gebrauch würde das Auto wieder erwärmt werden und könnte normal genutzt werden. Prima Idee.

Autos schrumpfen geht leider nicht. Aber man kann Erdgas schrumpfen. Und zwar etwa um den Faktor 600, der auch dem kleinen Auto-Gedankenexperiment zugrunde liegt. Auch die Motivation für die Schrumpfung ist die gleiche: Platzersparnis für Transport und Lagerung. Das Erdgas wird geschrumpft, indem es durch Abkühlung auf ca. -162°C in eine Flüssigkeit umgewandelt wird. Dann heißt es auf Englisch „Liquified Natural Gas“ oder kurz LNG.

Im Mitteleuropa werden für den Gastransport in der Regel Pipelines gebaut. Damit lassen sich große Erdgasmengen ökonomisch transportieren. Der Aufwand für Bau und Betrieb steigt aber mit deren Länge beträchtlich. Und Start- und Endpunkt liegen unverrückbar fest. Das hat den Nachteil, dass man keinen freien Handel mit Erdgas treiben kann. Die Nutzung von LNG überwindet dieses Hindernis. Die Verflüssigung von Erdgas ermöglichte den Aufbau einer gigantischen weltumfassenden Infrastruktur, die den Gasbedarf entwickelter Staaten in „Insellage“ wie Japan, Südkorea oder Taiwan deckt und den Energiehunger aufstrebender Volkswirtschaften wie China, Indien und Brasilien befriedigt. Etwa 1/3 des weltweit gehandelten Erdgases geht „geschrumpft“ auf die Reise.

Erwartungsgemäß erfolgt das Abkühlen des Erdgases in den Exportnationen. Zu den Größten zählen Katar, Australien, Malaysia und die USA. Dort stehen die wohl größten Kälteanlagen der Welt. So gibt es z.B. in Katar Erdgas-Verflüssigungsanlagen, von denen eine einzelne 7,8 Millionen Tonnen Gas pro Jahr verflüssigt. Im flüssigen Zustand würden die 7,8 Millionen Tonnen immer noch ein Aquarium füllen, das in etwa die Größe des Alaunparks in der Dresdner Neustadt und die Höhe des Dresdner Fernsehturms hätte. Es gibt solche Verflüssigungseinheiten sogar schwimmend, um auch Gas verflüssigen zu können, das unter dem Meeresspiegel gefördert wird.

Für den Transport wird das LNG auf Spezialtanker verladen und je nach Route innerhalb von ca. 10 – 20 Tagen an seinen Bestimmungsort transportiert. Das Spezielle an den Schiffen ergibt sich aus deren Aufgabe, die man mit Blick auf die Temperaturverhältnisse in etwa so in unsere Alltagswelt übertragen könnte: es möge so viel Flüssigkeit wie möglich in einem Eimer verbleiben, den man, mit kochendem Wasser gefüllt, 10-20 Tage lang in einen auf 280°C geheizten Pizzaofen gestellt hat. Jedem, dem in einer halben Stunde schon einmal das Nudelwasser verkocht ist, weiß, dass dies eine äußerst anspruchsvolle Aufgabe ist. Den Ingenieuren kommt allerdings die Tatsache entgegen, dass bei den riesigen LNG-Tanks das Verhältnis der Oberfläche, durch die die Wärme eindringt zum Volumen der Flüssigkeit viel kleiner ist, als bei einem Wassereimer. In Prozent ausgedrückt, verkocht also weniger Flüssigkeit im Tank, nur weil er sehr viel größer ist, als der Eimer.

Um aber trotzdem so viel Gas wie möglich zum Kunden zu bringen, sind die Tanker wie Kühlboxen aufgebaut. Die Dämmschicht ist 30-40 cm dick und besteht in vielen Fällen aus PU-Schaum. Innen sind die 30 m hohen Tanks mit glänzenden Blechen aus kältefesten Metalllegierungen verkleidet, die miteinander verschweißt sind. Denn eins darf auf keinen Fall passieren: dass die kalte Flüssigkeit mit dem Stahl in Kontakt kommt, aus dem der Schiffsrumpf gebaut wurde. Der ist nämlich nicht kältestabil… Trotz guter Dämmung „verkochen“ beim Seetransport jeden Tag etwa 0,15% der Ladung. Mit diesem Gas wird dann entweder das Schiff angetrieben oder es gibt Kälteanlagen an Bord, die das Gas wieder verflüssigen.

Am Ende seiner Reise wird das Erdgas an LNG-Terminals über Rohrleitungen in Landtanks gepumpt. Ein typischer Tanker transportiert dabei 150.000 m³ LNG. Sechs solcher Schiffsladungen würden ausreichen, um den jährlichen Wärmebedarf der Stadt Dresden zu decken. Vorher muss das LNG durch Wärmezufuhr aber wieder in ein Gas umgewandelt werden. Die Kälte des Flüssiggases könnte dabei vielfältig genutzt werden (z.B. zur Reduzierung des Energieaufwandes bei der Luftzerlegung in Sauerstoff und Stickstoff oder zur Abscheidung von CO2 aus der Luft), oft wird sie aber nur an die Luft oder das Meerwasser abgegeben.

Je nachdem, wie Verflüssigung, Transport und Regasifizierung technisch durchgeführt werden, kommen am Ende der Transportkette noch 80-93% von dem Erdgas an, das auf die Reise geschickt wurde.

Das ILK Dresden war 2006 bis 2009 an der Entwicklung eines neuartigen Isolationssystems für LNG-Tanker beteiligt.

Wachstumskern Cryo Tank Systems : VP 5 Qualitätssicherung ; TP Methodenentwicklung/Klassifizierung CTS-Bestimmung der charakteristischen Eigenschaften neuer Dämmungen und Sperrschichten für den Einsatz im LNG-Tankbau ; Abschlussbericht - Technische Informationsbibliothek (TIB)